Zandvoort, das Harlem vorgelagerte kleine Badeparadies an der Nordseeküste, hat seine eigene Atmosphäre. Es zieht alljährlich zur Zeit des Großen Preises nicht nur die niederländischen Motorsportfans in seinen Bann, sondern auch Tausende ausländischer Schlachtenbummler, unter ihnen viele Deutsche. Sie alle sind schon seit Jahren Stammgäste der Hotels und Pensionen nahe Amsterdam.
Der 4,193 Kilometer lange Dünenrundkurs gehört zur Kategorie der mittelschnellen Grand-Prix-Strecken. Als das offizielle Training am Freitagnachmittag begann, war es sommerlich warm und nur leicht windig. Am zweiten Trainingstag schlug das Wetter um – in der ersten Session am Vormittag war die Piste nass. Am Nachmittag wurden trotz abgetrockneter Strecke durch den heftigen Wind auf der Start- und Zielgeraden die Vortagszeiten um eine bis eineinhalb Sekunden verfehlt.
Jacky Ickx (Ferrari) war Trainingsschnellster, neben ihm standen Pedro Rodriguez (BRM.) und Jackie Stewart (Tyrrell). In Startreihe zwei folgten Clay Regazzoni (Ferrari) und Chris Amon (Matra). Der Große Preis 1971 der Niederlande war der erste Weltmeisterschaftslauf im Regen seit dem denkwürdigen Nebel- und Regenrennen 1968 auf dem Nürburgring, das Jackie Stewart – damals noch auf dem Matra MS 10-Ford-Cosworth – den Titel „Regenmeister“ eingebracht hatte. Den Sieg dort hatte er nicht zuletzt Dunlop, dem seinerzeit führenden Hersteller von Regenreifen, zu verdanken gehabt.
Nun gestaltete sich also auch der „Grote Prijs van Nederland 1971“ zu einem „Reifenrennen“. Schon am frühen Morgen des Renntages drang feinster Sprühregen in jede Spore und in jeden Spalt. Dennoch pilgerten rund 45.000 Zuschauer zum Rundkurs in den Dünen. Mit Rücksicht auf die bei Sturm und Regen besonders schwierigen Streckenverhältnisse räumte die Rennleitung anstelle der obligatorischen Einführungsrunde gegen 14.15 Uhr ein kurzes Zusatztraining ohne Zeitnahme ein. Nach halbstündiger Startverschiebung ging Ickx mit einem eindrucksvollen Sprint zur „Tarzanbocht“ in Führung.
Während dieser turbulenten Ereignisse und bei anhaltendem Nieselregen arbeitete sich Rodriguez Meter für Meter an den führenden Ickx heran. In der neunten Runde überholte der BRM. den Ferrari. Der Dritte, Regazzoni, lag zu diesem Zeitpunkt schon 16 Sekunden zurück. Ihm folgten Surtees, Ronnie Peterson (March) und Reine Wisell (Lotus). Nach 20 Runden führte Rodriguez knapp sieben Sekunden vor Ickx, den eine gute halbe Minute von Regazzoni trennte. Mit zunehmend griffigerer Piste profitierte Ickx von seiner aggressiveren Fahrweise und machte auf Rodriguez Boden gut.
In der 29. Runde überholte er den BRM.-Piloten auf der Außenbahn der „Hunzerug“-Kurve. Im nächsten Durchlauf aber konterte Rodriguez just an derselben Stelle. Seine Führung war allerdings nur von kurzer Dauer: Ickx setzte Rodriguez erneut hart zu. Über die Zielgerade, durch die „Tarzanbocht“ – und dann lag er endgültig vorn. Inzwischen erlaubte es ihm der Straßenzustand, seine maschinellen Trümpfe ungehindert auszuspielen. Nach halber Distanz trennten Ickx bereits fünf Sekunden von Rodriguez und mehr als eine Minute von seinem Teamgefährten Regazzoni. Weit hinter Regazzoni, dessen Überrundung durch Ickx und Rodriguez erst auf den 50. Umlauf fiel, startete inzwischen Surtees eine Serie von schärfsten Attacken auf Peterson im Kampf um den vierten Platz.
Fünf Runden vor Schluss öffnete der Himmel erneut seine Schleusen. Plötzlich zählte das „Handling“ wieder doppelt. Regazzoni bekam es zu spüren, als ihm der Ferrari in der „Tarzanbocht“ aus dem Ruder und mit der Schnauze „auf Grund“ lief. Der Zeitverlust war bei einer Runde Abstand in beiden Richtungen bedeutungslos. Ickx aber war froh, dass er rund 15 Sekunden Vorsprung auf Rodriguez herausgefahren hatte, denn der mexikanische BRM.-Fahrer verkürzte ihn in einem fantastischen Endspurt noch auf die Hälfte. Regazzoni wurde als Dritter gewertet. Auf den Plätzen vier bis sechs folgten Peterson, Surtees und Siffert. Ickx sagte später vor der Presse: „Ich fuhr mit äußerster Konzentration, sauber und weich. Wenn mir ein Überholmanöver zu riskant war, wartete ich ab. Ich glaube, ich habe heute das schwerste Rennen meiner Karriere fehlerfrei gefahren.“