„Alte“ Aufnahmen von Motorsportveranstaltungen der 1950er-Jahre sind eigentlich kleine Bildwunder: Verschlusszeiten und Lichtstärke setzten damals enge Grenzen, das Filmmaterial ließ kaum starke Vergrößerungen zu. Ein Jahrzehnt später eröffnete der technische Fortschritt den Fotografen dann schon weitaus größere Möglichkeiten – die Aufnahmen wurden schärfer, der Film fing Bewegung und Dynamik ein, man konnte Rennwagen „fliegen“ lassen, auch spektakuläre Großbilder entstanden.
Einer, dessen Großaufnahmen das Publikum besonders faszinierten, war der Arzt Dr. Benno Müller. Er hatte sich auf Gesichter spezialisiert – Gesichter, in denen sich der Rennsport widerspiegelte, die Gefahr, die von ihm ausging, die Herausforderung, die er für die Piloten darstellte.
Der Allgemeinmediziner, der am 24. Januar 1912 in Freiburg zur Welt gekommen war, hatte nach dem Studium zunächst die Praxis des Vaters in Kirchhofen im Breisgau übernommen. Schon beruflich stand deshalb für ihn der Mensch stets im Mittelpunkt. „Irgendwie fotografierte ich später dann immer auch mit dem Blick des Arztes“, erklärte Müller einmal in einem Interview mit der Zeitschrift „Motor Klassik“. „In meiner Praxis habe ich mir ja auch zunächst genau das Gesicht des Patienten angesehen.“
So war es dann auch bei den Rennsportveranstaltungen, die Müller besuchte. „Die Rennen haben mich eigentlich nie interessiert – es war immer schade um die Zeit, in der ich im Fahrerlager keine Gesichter sah“, verriet er. Die „Motor Klassik“ übersetzte das damals so: „.Gewiss, die Technik gab ab und an ein interessantes Detail, ein skulpturenartiges Gebilde, das sich abfotografieren ließ – wenn man denn den Müllerschen Blick dafür besaß. Aber was war ein Stück Plastik, Metall oder Kautschuk im Vergleich zu Graham Hills Schnurrbart oder Jim Clarks Lächeln?“
Dr. Benno Müller kam im Automobilrennsport als Fotograf zu Ruhm und Anerkennung, obwohl ihn auch Rennwagen überhaupt nicht begeistern konnten. Als ihm eines Tages sein Freund Heinz-Ulrich Wieselmann, in jenen Jahren Chefredakteur der Zeitschrift „auto motor und sport“, zu einer Rennveranstaltung auf den Nürburgring mitnahm, fotografierte der Arzt dort zu seinem Privatvergnügen. Als Wieselmann die Aufnahmen später zu sehen bekam, erkannte er sofort die außerordentliche Begabung seines Freundes. Er veröffentlichte die Bilder. Das war zugleich der Beginn einer bemerkenswerten Karriere Müllers als Motorsportfotograf – mit zahlreichen Veröffentlichungen in Zeitschriften des In- und Auslandes.
Schon nach kurzer Zeit war Müller in der Boxengasse eine feste Größe. Rennfahrer, Teammitglieder und die Chefs der Rennställe respektierten den Mann mit Rolleiflex, Hasselblad und Leica. Zu einigen Piloten entstanden freundschaftliche Beziehungen, so beispielsweise zu dem später auf dem Hockenheimring tödlich verunglückten Jim Clark oder zu Helmut Fath, dem dreifachen Weltmeister im Seitenwagenrennen. Eine herzliche Freundschaft verband Müller auch mit Huschke von Hanstein, der als Rennfahrer, Rennleiter und Pressechef von 1952 bis 1974 das einzigartige Image der Marke Porsche geprägt hatte.
Das Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim würdigte im Jahr 1997 mit der mehrmonatigen Ausstellung „Gesichter des Rennsports“ das Lebenswerk des Fotografen Dr. Benno Müller. Mehr als einhundert Originalfotos sowie Renn- und Sportwagen von Porsche, Mercedes-Benz und BMW ließen bei dieser Sonderausstellung das Rennsportgeschehen der späten 1950er-, 1960er- und frühen 1970er-Jahre wieder aufleben. Es waren die Jahre, in denen der Allgemeinmediziner aus Kirchhofen mit seinen Kameras außergewöhnliche Zeitdokumente geschaffen hatte. Max Mosley, von 1993 bis 2009 Präsident des Automobil-Weltverbands FIA, verriet Müller einmal in einem Brief: „Ich weiß, dass es jeder schätzte, von Ihnen Fotos zu erhalten. Alle Rennfahrer halten Ihre Aufnahmen für die besten, die je ein Fotograf gemacht hat.“
Bei der Eröffnung der Mannheimer Ausstellung hielt das deutsche Rennfahreridol Hans Hermann die Laudatio. Die Sonderschau fand in den Medien großen Anklang. Benno Müller konnte die Ausstellung nicht mehr besuchen, er war zu diesem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt. Der Bericht seiner Frau von der überwältigenden Ehrung, die ihm in Mannheim zuteil geworden war, machte ihn jedoch überglücklich. Benno Müller starb 1997.