Rekordbesuch am Nürburgring: Zum sechsten Formel-1-WM-Lauf dieser Saison kamen mehr als 150.000 Zuschauer an die Nordschleife, denn dort fuhr an diesem Sonntag das neue Idol der deutschen Rennsportfans Wolfgang Graf Berghe von Trips. Der Rheinländer hatte drei Wochen zuvor auf einem Ferrari 156 „Sharknose“ den Großen Preis von England in Aintree gewonnen.
Nie zuvor waren die Chancen eines deutschen Fahrers auf den Weltmeistertitel so groß gewesen. Ferrari hatte 1961 das stärkste Auto – zu Saisonbeginn leistete der 65-Grad-V-6-Zylinder-Motor rund 170 PS, das verbesserte Triebwerk mit dem 120-Grad-V-6 kam auf gut 185 PS. Am Nürburgring versuchte Coventry Climax mit einem neuen V-8-Aggregat, das erstmals im Cooper T58 von Jack Brabham eingebaut war, die Überlegenheit der Scuderia Ferrari zu beenden. Enzo Ferrari hatte vier Wagen gemeldet: Wolfgang von Trips sowie die beiden US-Piloten Richie Ginther und Phil Hill fuhren den stärkeren V-6-Wagen, der Belgier Willy Mairesse musste sich mit dem schwächeren V-60-Grad-6-Zylinder begnügen. Das war am Ring aber nicht unbedingt ein Nachteil, denn dort zählte, wie auf keiner anderen Strecke der Welt, das fahrerische Können – bewiesen von Stirling Moss bei diesem Großen Preis von Europa 1961.
Der Brite Moss fuhr einen Lotus 18 für das Team von Rob Walker. Chefmechaniker Alf Francis hatte den Wagen zu einem Lotus 21 umgebaut, unter anderem mit einer schlankeren Karosserie und einer modifizierten Radaufhängung.
Moss erzählte später: „Schon an den Trainingstagen hatte mich der Grip der Dunlop-Regenreifen ,Green Spot‘ beeindruckt. Nur der Reifenabrieb war zu hoch. Als für den Renntag Regenschauer vorhergesagt wurden, gab es ein Reifen-Roulette. Jedenfalls narrten wir unsere Gegner dadurch, dass wir den grünen Punkt, der die Reifen kennzeichnete, schwarz übermalten.“
Im Training durchbrach Phil Hill die magische 9-Minuten-Schallmauer: Er stand mit einer Zeit von 8:55,2 Minuten auf der Pole-Position. Neben ihm hatten sich Brabham, Moss und Joakim Bonnier (Porsche) für die erste Startreihe qualifiziert. Auf den Trainingsplätzen fünf bis sieben folgten Graf Trips, Graham Hill (BRM.) und der Porsche von Dan Gurney.
Brabham ging mit dem Cooper V8 in Führung, rutschte aber schon im Streckenabschnitt „Hatzenbach“ von der Bahn. Moss übernahm die Spitze. Er führte am Ende der ersten Runde vor Phil Hill und Hans Herrmann (Porsche). Moss fuhr die zweite Runde auf der noch feuchten und dampfenden Piste in 9:13,2 Minuten. Nach drei Runden hatte er schon zehn Sekunden Vorsprung, doch Graf Trips und Phil Hill wurden immer schneller. In der zehnten Runde stellte Phil Hill mit 8:57,2 Minuten einen neuen Rundenrekord auf – die beiden Ferrari kamen dem rund 155 PS starken Lotus auf der abtrocknenden Strecke aber immer näher. Moss sagte später: „Dann wurden meine Gebete erhört, es begann wieder zu regnen, mein Reifen-Poker zahlte sich aus.“
Der Brite siegte mit rund 20 Sekunden vor den beiden Ferrari-Fahrern Graf Trips und Phil Hill. Auf den Plätzen folgten der Schotte Jim Clark (Lotus), John Surtees und Bruce McLaren (beide auf Cooper).
Nach dem Großen Preis von Deutschland führte Graf Trips in der WM-Gesamtwertung mit vier Punkten vor seinem Teamgefährten Phil Hill (33:29 Punkte).
Fünf Wochen später war das deutsche Sportidol tot: Wolfgang Graf Berghe von Trips kam am 10. September 1961 beim Großen Preis von Italien in Monza nach einer Kollision mit dem Schotten Jim Clark ums Leben. Elf Zuschauer an der Rennstrecke wurden getötet, vier weitere verstarben in den folgenden Tagen im Krankenhaus, 60 wurden verletzt.